Sommerzeit ist Reisezeit. Gerade nach zwei Jahren Corona-Pandemie ist die Reiselust der Bürger enorm hoch. Die massenhaften Entlassungen bei Airlines und Flughafenbetreibern sorgen nun jedoch dafür, dass das vorhandene Personal mit der schieren Menge an Passagieren und Gepäck überfordert ist. Vermehrt kommt es in letzter Zeit zu Verspätungen und Annullierungen im Flugverkehr.
EU-Fluggastrechte-Verordnung
Für alle Abflüge aus EU-Staaten, der Schweiz, Norwegen und Island gelten – unabhängig von der Fluggesellschaft – die europäischen Fluggastrechte nach Verordnung 261/2004. Werden Flüge von einer schweizerischen, norwegischen, isländischen oder EU-Fluggesellschaft durchgeführt, gelten die europäischen Fluggastrechte auch wenn deren Flüge mit Ankunft in der EU, der Schweiz, Norwegen oder Island ausserhalb dieses Gebiets starten.
Ansprüche bei Nichtbeförderung
Oft kommt es vor, dass Fluggesellschaften ihre Flüge überbuchen. Dies machen sie aus dem Grund, weil sie regelmässig damit rechnen, dass einzelne Passagiere ihren Flug nicht antreten (Verspätung oder Stornierung aufgrund von Krankheit oder Unfall). Um die Gewinnmargen pro Flug zu steigern, werden also mehr Tickets verkauft, als es im jeweiligen Flugzeug Platz hat. Erwischst du einen solchen überbuchten Flug, kann es vorkommen, dass die Airline zunächst nach Freiwilligen sucht, die bereit wären, einen späteren Flug zu nehmen. Dies geschieht meist in Verbindung mit besonderen Konditionen (Business statt Economy, Preiserlass). Hier hat man grundsätzlich den Anspruch zwischen Erstattung des Ticketpreises oder einer anderweitigen Beförderung zu wählen. Findet sich keine Freiwillige oder Freiwilliger, so muss die Airline eine Person bestimmen. Hierbei hat die Airline dann folgende Entschädigungen zu leisten:
- EUR 250 bei Flügen mit einer Distanz bis zu 1’500 km
- EUR 400 bei Flügen mit einer Distanz zwischen 1’500 km und 3’500 km
- EUR 600 bei Flügen mit einer Distanz über 3’500 km
Zusätzlich hat man Anspruch auf Mahlzeiten und Getränke im Verhältnis zur Wartezeit. Muss man gar übernachten, so hat die Airline für die notwendige Hotelunterkunft (inkl. Transport) zu sorgen.
Ansprüche bei Annullierung
Im Falle einer Annullierung des Fluges muss die Fluggesellschaft folgende Betreuungs- und Unterstützungsleistungen anbieten:
- die Wahl zwischen Erstattung des Ticketpreises oder anderweitiger Beförderung zum Zielort.
- Mahlzeiten und Getränke im Verhältnis zur Wartezeit. Verzögert sich dein Weiterflug bis zum Folgetag (Datumswechsel) muss, wenn nötig, eine Hotelunterkunft (inklusive Transport) offeriert werden. Die Möglichkeit zur Telekommunikation muss ebenfalls angeboten werden.
Ausserdem gibt es möglicherweise Anspruch auf eine Ausgleichszahlung in folgender Höhe:
- EUR 250 bei Flügen mit einer Distanz bis zu 1’500 km
- EUR 400 bei Flügen mit einer Distanz zwischen 1’500 km und 3’500 km
- EUR 600 bei Flügen mit einer Distanz über 3’500 km
Ansprüche bei Verspätungen
Bei Verspätungen besteht für die Schweiz eine etwas andere Sachlage als im Rest der EU. Die oben genannte EU-Fluggastrechteverordnung sieht bei Verspätungen keine Entschädigung vor. Diese hat erst der europäische Gerichtshof (EuGH) in einem Grundsatzurteil festgelegt und dabei dieselben Kriterien angewandt wie bei der Nichtbeförderung:
- 2 Stunden Abflugverspätung bei Flügen mit einer Distanz bis zu 1’500 km – (EUR 200)
- 3 Stunden Abflugverspätung bei Flügen mit einer Distanz zwischen 1’500 km und 3’500 km (EUR 400)
- 4 Stunden Abflugverspätung bei Flügen mit einer Distanz über 3’500 km (EUR 600)
Das Problem? Bisherige Gerichtsurteile in der Schweiz zu diesem Thema haben entschieden, dass bei einer Verspätung keine pauschale Entschädigungsleistungen geschuldet sind, da Urteile des EuGH nicht zwingend von Schweizer Gerichten berücksichtigt werden müssen. Dies kann jedoch umgangen werden: Kunden, die Entschädigungsforderungen für einen EU-Flug aus oder in die Schweiz geltend machen wollen, der verspätet war, können beim Zivilgericht am Abflugs- oder Ankunftsort innerhalb der EU klagen. Bei fünf Stunden Abflugverspätung hat man auch vor Schweizer Gerichten Anspruch auf Erstattung des Ticketpreises, wenn man sich weigert weiterzufliegen.
Sind die Verspätungen auf äussere Umstände zurückzuführen, besteht jedoch grundsätzlich kein Anspruch auf Entschädigungszahlungen, da die Airline nicht verantwortlich gemacht werden kann (höhere Gewalt wie Unwetter, Krieg, Pandemie etc.).
Die Durchsetzungsstelle für Passagierrechte in der Schweiz ist im Übrigen das Bundesamt für Zivilluftfahrt (BAZL).
Wie gehe ich vor?
- Zunächst einmal sollten alle Unterlagen die mit dem Flug in Verbindung stehen sorgfältig aufbewahrt werden (sei es Buchungsbestätigung oder Flugticket/Boardingpass).
- Die Ankunftszeit bei Flugverspätungen sollte genau dokumentiert werden. Massgeblich ist nämlich der Zeitpunkt, an dem die Flugzeugtür am Zielflughafen geöffnet wird. Ggf. lässt man sich die Verspätung direkt am Zielflughafen schriftlich bestätigen. Dass die Airlines nur in seltenen Fällen dazu bereit sind, versteht sich von selbst, daher lieber auf das unabhängige Flughafenpersonal zugehen. Notfalls den Sitznachbar als Zeugen erfassen oder Fotos oder Videos mit dem Handy machen – die Metadaten dieses Materials haben einen Zeitstempel. Anschliessend sollte die Airline kontaktiert und die Ansprüche geltend gemacht werden.
- Am besten schriftlich per Einschreiben oder via Kontaktformular, denn hier erhält man meist auch eine Empfangsbestätigung.
- Sollte die Airline nicht reagieren, bleibt oft nichts anderes übrig als den Rechtsweg zu bestreiten. Dabei kann, wie bereits erwähnt, auf das BAZL verwiesen werden oder man nimmt einen eigenen Anwalt in Anspruch. Es gibt auch diverse Websites, die gegen eine (nicht geringe) Gebühr die Rechte im Sinne der Fluggastrechteverordnung für einen einklagen. Meist verlangen diese aber zwischen 20% bis 60% des Anspruchs. Ob ein eigener Anwalt ggf. in Verbindung mit einer Rechtsschutzversicherung günstiger kommt, sollte überprüft werden.
Fazit
Je nach Situation stehen also unterschiedliche Rechte zu, wobei die EU-Rechte grundsätzlich auch in der Schweiz gelten. Einzig bei Flugverspätungen muss berücksichtigt werden, dass vor Schweizer Gerichten eine Gutheissung von Ausgleichszahlungen eher problematisch sein wird. In diesem Fall sollten die Ansprüche dann nicht vor Schweizer Gerichten durchgesetzt werden. Dies bedeutet jedoch auch, dass bei Flügen von oder in die Schweiz von ausserhalb der EU eine solche Option nicht besteht (bspw. Flug von Zürich nach Buenos Aires mit der SWISS).